Die Dorfkirche als Kunstwerk
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Beschreibung
Das Thema "Dorfkirchen in der Umgebung von Berlin und Potsdam (1840-1850)" wurde im Wintersemester 2011-2012 als Übung im Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin behandelt. Neben der Vermittlung von Sachverhalten über eine Gebäudegattung, die nicht unbedingt im Vordergrund des Forschungsinteresses steht, ging es vor allem darum, der Frage nachzugehen, wie sich generell Entwicklung vollzieht. In einem platten Verständnis wird "Entwicklung" oft völlig unbewusst als ein progressiv linearer, kontinuierlich stetig fortschreitender Prozess begriffen, der folglich keine Umkehr in Vergangenes kennt und kennen "darf". In der Nachfolge der avantgardistischen Moderne des frühen 20. Jahrhunderts hat sich als Folge des leidenschaftlich bekämpften Historismus ein solches Verständnis von bedingungsloser Ablehnung, ja sogar Feindschaft gegenüber Rekonstruktionen festgesetzt, dabei missachtend, dass Rückgriffe auf Formenwelten vergangener Epochen neben den Phasen von Moderne ebenso Regel waren. Entwicklung als Veränderung über den reinen Zustand von Moderne eben als das gerade Neue gegenüber dem Gestrigen hinaus ist - und das macht das Beispiel der Dorfkirchen ebenso deutlich - durch drei Wirkmechanismen bedingt: durch Geld (denn wer bauen will, braucht Geld), Ideologie der Theologen (der evangelische Kirchenbau hat sich in schmuckloser Einfachheit darzustellen) und "Kunstwollen" der Architekten (der evangelische Kirchenbau darf nicht auf die Stufe der Beliebigkeit von Kasernen oder Funktionsbauten herabsinken). Das gewählte Jahrzehnt 1840-1850 bot ferner die Möglichkeit, das gängige Bild von Entwicklung weiter zu hinterfragen. Entwicklung als Veränderung vollzog sich in diesem Jahrzehnt vor der Mitte des 19. Jahrhunderts zunächst als bewusster Bruch mit der Vergangenheit, der im Bereich der Architektur nur vor dem Hintergrund der Zeitgeschichte erklärt werden kann: durch den Übergang in der Herrschaft von Friedrich Wilhelm III. auf Friedrich Wilhelm IV. im Jahr 1840, durch den Tod Schinkels als Leiters der preußischen Oberbaudeputation 1841, durch den Versuch, gegen die Kirchenferne der Untertanen durch verstärkte Anstrengungen im Bau von Gotteshäusern anzugehen, erkennbar in der Reise von Theologen und Architekten nach England 1842, durch die im Pauperismus mündende strukturelle Armut weiter Bevölkerungsschichten, 1843 deutlich durch Bettina von Arnims "Dies Buch gehört dem König" gekennzeichnet, und durch ein neues ästhetisches Verständnis, das sich in den seit 1845 erscheinenden Blättern "Entwürfe für Kirchen, Pfarr- und Schulhäuser" dokumentierte - man wollte nun keine "Uniformität" mehr wie in der Schinkelzeit. Der Typus der von Schinkel 1827 in königlichem Auftrag entworfenen "Normalkirche" galt nicht mehr. Gerade die in größerer Zahl entstandenen Dorfkirchen machen trotz einer manchmal langjährigen Vorlaufzeit wegen der Kleinheit ihrer Baukörper und der Kürze der Baudurchführung die Abkehr von Schinkelscher Formensprache ab 1843 deutlich. Die Kirchengebäude Schinkels stießen jetzt ohnehin auf grundlegende Kritik der Theologen. Und erstaunlich ist, wie willig die unter Schinkel groß gewordenen Architekten der Oberbaudeputation den gestalterischen Vorstellungen Friedrich Wilhelms IV. in der nun propagierten Abkehr von "Uniformität" folgten. Untersuchenswert bleibt, ob andererseits über Boetticher hinaus, der 1846 mit seiner Schinkelrede im Architekten-Verein dessen öffentlich vorgetragene, wenn auch kritische Würdigung eingeleitet hatte, diese durch die Privatarchitekten getragen wurde. Mit den Reden "Schinkel zu Ehren" fand sie im Architekten-Verein ab 1846 einen deutlichen Ausdruck. Immerhin beauftragte Friedrich Wilhelm IV. bereits um 1844 das Denkmal für den geachteten Schinkel für die Vorhalle des Alten Museums, während die bürgerschaftliche Ehrung des Baumeisters auf dem Schinkelplatz vor der Bauakademie trotz der Sebstverpflichtung Beuths schließlich auf sich warten ließ. Und nicht zuletzt müsste "die geistige Cultur verschiedener Zeiten und Völker", wie sie Schinkel noch einen Tag vor dem Aderlass, der seinen Tod einleiten sollte, beschäftigt hatte, verfolgt werden, ob sie auf der Grundlage welcher philosophischer Lehrgebäude die Abkehr von "Uniformität" nicht bereits vorbereitet hatte. Und nicht unterschätzt werden darf, dass die vierziger Jahre insgesamt von einer alle Bevölkerungsschichten erfassenden Sucht nach Neuem und Anderem bei unstillbarer Betriebsamkeit und mit dieser Sucht nach Neuem in die Rückkehr zum Alten bestimmt wurden. Alle diese für das Baugeschehen wirksamen Rahmenbedingungen machen deutlich, dass sich der Ablauf von Zeit unter Abhängigkeit von komplexen Rahmenbedingungen tatsächlich über Brüche und auch in Gegensätzlichkeiten kennzeichnet und Fortschrittlichkeit nicht ausschließlich im Sinne avantgardistisch voraussetzungsloser Moderne, sondern auch im Rückgriff auf die Vergangenheit vollziehen kann.
Produktdetails
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Über den Autor
- Hardcover
- 120 Seiten
- Erschienen 2006
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